Paul
Parin
Ethnologe, Psychologe und leidenschaftlicher Jäger
schreibt in seinem Buch
Die Leidenschaft
des Jägers
Europäische Verlagsanstalt 2003
Es geht mir nicht darum, die Jagd mit allen ihren Facetten abzuhandeln. Ich
habe genug zu tun mit dem mir selbst wohl bekannten Jagdfieber. Der Widerspruch
bleibt bestehen: Es geht um Mordlust, und weil es sich um Leidenschaft, Gier,
Wollust handelt - um ein Fieber eben - geht es in diesem Buch um sex and
crime, um sexuelle Lust und Verbrechen jeder Art, um Mord und Lustmord.
Die Jagdlust gibt es bei anderen Völkern geradeso wie bei uns. Tarik
Ali, ein gänzlich unbefangener Autor, Schriftsteller und Soziologe aus
Pakistan, beschrieb in seinem Roman "Die steinerne Frau" seinen
Großvater. "Er liebte den Wein, die Jagd und die Unzucht. (...) Ohne einen
Schluck konnte er nicht jagen, und meine Großmutter konnte er nicht besteigen,
ohne zuvor ein unglückseliges Tier erlegt zu haben. Dafür genügte ihm oft schon
ein Kaninchen."
(...)
[Nachdem Parin einen wilden Truthahn erschossen hatte] Die Jäger hielten das
tote Tier vor mich hin. Sieben oder acht Pfund, und der prächtige Fächer! Ich
schwitzte an den Handflächen. Mein Geschlechtsteil klemmte gegen die engen
Jeans. Dankend lehnte ich ab, den Hahn nach Ada mitzunehmen. 'Ich habe
niemanden, der ihn braten würde.' 'Schade' sagten sie.
(...)
Der Jäger ist ein Raubtier. Die größte Gefahr für das Bestehen der Jagd ist die
Vernunft. Alle erdenklichen naturphilosophischen und religiösen Argumente
müssen herhalten um die Jagd von jedem moralischen Makel freizusprechen. Und
doch ist die Jagd der einzige normale Fall, bei dem das Töten zum Vergnügen
wird. 'Das steigert die Schwierigkeit ihrer Ethik zum Paroxismus', sagt Ortega
y Gasset. ...
Mit der sexuellen Lust des Jägers hat der sprachliche Gebrauch wenig
oder nichts zu tun. Der Jäger "weiß" - bewusst oder unbewusst - aus
Erfahrung, dass sexuelle Lust und das Töten untrennbar zur Jagd gehören.
Die wirkliche Jagd ist ohne vorsätzliche Tötung nicht zu haben.
Leidenschaftlich jagende wollen töten. Jagd ohne Mord wäre ein Oxymoron, ein
Begriff, der sich selbst aufhebt.
(...)
Jede Kultur vermittelt ihre Ideologie in Ritualen. Die Teilnahme am
Gebetsritual einer Religion gewinnt mehr Anhänger einer Glaubenslehre als die
Predigten der Missionare oder die Wahrheit heiliger Schriften. Wer am Ritual
teilnimmt, findet seine Sicherheit im Glauben und steht im Einklang mit
Gleichgesinnten.
Mit dem Ritual wird das Töten von Tieren zur Kultur. Es wird festgelegt,
welche Tiere wann und wo erlegt werden dürfen, mit welchen Waffen, und wie der
Jäger gekleidet sein sollte. In Deutschland muss der Jäger einen Hut Tragen, in
Frankreich ist die Baskenmütze zulässig. Wilddiebe und Jagdfrevler verstoßen
gegen Regeln und Gesetze, die vom Ritual abgeleitet sind.